Das von MJG Rechtsanwälte begleitete erste BGH-Verfahren zum Lkw-Kartell (Az. KZR 35/19) hat wesentliche Grundfragen im Ansatz zu Gunsten der Klägerin geklärt. Die Urteilsgründe liegen seit dem 21. Dezember 2020 vor und können hier abgerufen werden.

Wie erwartet enthält das Urteil ausführliche Segelanweisungen für die Instanzgerichte zur künftigen Einordnung der kartellrechtswidrigen Abstimmungen sämtlicher europäischer Lkw-Hersteller. Insbesondere hervorzuheben sind die folgenden Punkte:

  • Das Kartellgeschehen war kein reiner Informationsaustausch, sondern viel mehr: “ Konkret bestand die Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nach den Feststellungen im Kommissionsbeschluss in einem kollusiven Verhalten bei der Preissetzung und der Anhebung von Bruttolistenpreisen („collusive arrangements on pricing and gross price increases“) für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie in der Koordinierung ihres Marktverhaltens bei den Zeitplänen und der Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für solche Lastkraftwagen nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6. Das kollusive Verhalten umfasste Vereinbarungen („agreements“) und/oder abgestimmte Verhaltensweisen („concerted practices“) bei Preissetzungen und Listenpreiserhöhungen mit dem Ziel, die Bruttopreise im EWR anzugleichen, sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6.“ (Rn. 19)
  • Diese Abstimmungen nutzten alle Hersteller für die interne Preissetzung, die sich bis zum Endkunden durchgeschlagen hat (Rn. 22)
  • Mit Ausnahme der in Rn. 5 der Kommissionsentscheidung genannten Lkw waren sämtliche von den Herstellern vertriebenen Lkw kartellbetroffen.
  • Auch im Lkw-Kartell können sich Kläger auf den in der Rechtsprechung des BGH etablierten Erfahrungssatz berufen, dass Kartelle zur Durchsetzung höherer Preise gebildet werden: “ Zutreffend ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin könne sich auf eine tatsächliche Vermutung dafür stützen, dass infolge des zwischen der Beklagten und den Streithelferinnen praktizierten Kartells das Preisniveau für die betroffenen Lastkraftwagen im Schnitt über demjenigen lag, welches sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätte.“ (Rn. 39)
  • Die Hemmung der Verjährung erfordert keine Einleitung eines förmlichen Verfahrens, sondern beginnt mit einer erkennbar gegen ein Unternehmen gerichteten Ermittlungsmaßnahme: „Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass eine Verfahrenseinleitung im Sinne des § 33 Abs. 5 GWB 2005 auch bei Tätigwerden der Europäischen Kommission nicht die Einleitung eines förmlichen Verfahrens voraussetzt, sondern lediglich die Durchführung von behördlichen Maßnahmen gegen ein Unternehmen erfordert, die erkennbar darauf abzielen, gegen dieses Unternehmen wegen einer Beschränkung des Wettbewerbs zu ermitteln.“ (Rn. 79)
  • Der beklagte Hersteller ist der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast, dass die Klägerin als Bauunternehmen den Kartellschaden an ihre Auftraggeber weitergewälzt hat, nicht nachgekommen.